Adelheids Erbe

Kaiserin Adelheid starb am 16. 12. – Vor 1020 Jahren

Die 68 Jahre alte Frau war ein letztes Mal aufgestanden, hatte das morgendliche Anziehen über sich ergehen lassen, bei dem sie bereits Hilfe brauchte, denn sie war gebrechlich geworden. Ein letztes Mal war sie noch im späten Sommer in ihre Heimat gereist, in das Burgund, aus dem später die Schweizer Kantone Waadt, Bern, Fribourg und Genf sowie die französische Provinz Franche-Comté hervorgingen. Ein letztes Mal hatte sie die bedeutenden Orte des Reiches besucht, über das Ihr Vater und ihr Bruder einst herrschten.

Kaiserin Adelheid und das Berner Oberland

Darunter waren nicht nur ihr Geburtsort Orbe bei Yverdon, sondern auch Payerne, in deren Kirche sie – es war bereits fast 40 Jahre her – hatte ihre Mutter Bertha bestatten lassen. Man weiss, dass sie auch das Kloster St. Maurice besucht hat, dessen Laienabt ihr Vater viele Jahre lang gewesen war. Erst wenige Jahre vor dieser, ihrer letzten Reise hatte die für die damalige Zeit hochbetagte Frau einige dieser persönlichen Lieblingsorte dem Kloster im nordelsässischen Selz vermacht, darunter eben auch ihre Besitzungen im Simmental, Matten/St.Stephan und Wimmis.

Dramatisches Leben

Doch was für ein Leben hatte diese Frau geführt: Als sie 931 geboren wurde, war ihre Eltern Rudolf und Bertha noch „Wanderkönige“ in einem riesigen Gebiet, das von der heutigen französischen Provinz Franche-Comté, über die Schweizer Kantone Genf, Waadt, Neuchâtel bis in das Berner Oberland reichte. Die vordergründige Idylle endete bald: Ihr Vater starb viel zu früh und mit 16 Jahren wurde sie mit einem Mann verheiratet, der zwar italienischer König, aber auch die Marionette eher – sagen wir – früh-mafiöser Mächte in Norditalien und dazu ein Schürzenjäger war.

Mit 20 Jahren war sie dann bereits das erste Mal Witwe. Als Bewahrerin der langobardischen Krone konnte sie jedoch den kommenden italienischen König bestimmen, und so hat man sie entführt und in eine Burg gesperrt, als sie sich weigerte, den Wunschkandidaten der regierenden Clans durch eine Heirat mit ihr zum König zu machen.

Flucht und „Karriere“ wie im Märchen

Der jungen Mutter (ihre Tochter Emma, die spätere französische Königin, war etwa drei Jahre alt) gelingt samt Kind die Flucht. Hilfesuchend wendet sie sich an einen Freund ihrer Familie, den sächsischen Herzog und ostfränkischen König Otto. Selbst Witwer geworden, sah Otto wohl eine doppelte Chance: Er rückte mit einem gewaltigen Heer nach Italien ein, besiegte die Clans, befreite die auf der Burg Canossa auf ihn wartende junge Frau und heiratete sie im Jahre 951 in der Krönungsstadt der langobardischen Könige, Pavia. Damit hatte er sowohl eine wunderschöne Frau gewonnen als auch die Herrschaft über Nord- und Mittelitalien. Und die 20jährige Mutter der kleinen Emma war mit einem Schlag nicht nur (wieder) italienische, sondern auch ostfränkische Königin.

Das Titelbild dieses Beitrags zeigt stilisiert die Kaiserin Adelheid und ihren Ehemann Otto I. (Abbildung vom Meissner Dom)

Nur vier Jahre vergingen, und ihr Mann Otto, hatte eine Schlacht zu bestehen, die das Angesicht des Kontinents verändern sollte: Die vereinigten deutschen Stämme der Sachsen (deren Herzog Otto war), der Bayern, der Alemannen und der Franken besiegten 955 die damals noch heidnischen Ungarn, die jahrzehntelang ganze Landschaften in Mitteleuropa verwüstet hatten, auf dem so genannten Lechfeld bei Augsburg. Nicht nur Ottos Position als König der Ostfranken (die ab dieser Schlacht zunehmend als „die Deutschen“ bezeichnet wurden) war seitdem unangefochten, sondern auch die besiegten Ungarn veränderten ihr Leben radikal: Sie wurden sesshaft (vorher hatten sie nomadisch gelebt) und nahmen das Christentum an.

Es folgten geradezu triumphale Jahre im Leben der jungen Frau, die damals in der Blüte ihres Lebens stand: 962 wird sie zusammen mit ihrem Mann als gleichberechtigte Partnerin (lateinisch: „consors regni“) Mit-Herrscherin und Kaiserin der Römer und der Deutschen. Und neben ihrem Bruder Konrad behielt sie eine ganze Reihe burgundischer Königsgüter als persönliches Eigentum: Die beiden Herrscherfamilien waren befreundet.

Tod und Herrschaft

Kurz nach dem Osterfest des Jahres 973, das beide zusammen in Quedlinburg (im heutigen Thüringen) verbracht hatten, starb ihr Mann Otto. Der gemeinsame Sohn Otto II. wurde tags darauf bereits zum König ausgerufen, und schlagartig war die mittlerweile 42Jährige „Königinmutter“. Und zum zweiten Male Witwe. Bereits ein Jahr zuvor war ihr Sohn Otto II. zusammen mit seiner griechischen Frau Theophanu zum römischen Kaiser gekrönt worden. Zehn Jahre lang gab es dann die seltsame Konstellation, dass das italisch-deutsche Reich einen König und Kaiser, aber zwei Kaiserinnen hatte.

Rathausturm Koeln – Theophanu

Als 983 ihr Sohn Otto II. starb setzten die beiden Frauen – wie ein Senior-/Junior-Paar – die Herrschaft im Reich einvernehmlich fort. Sie bauten das Reich sogar noch im Westen (Lothringen) und im Osten gegenüber den Slawen noch aus. Doch 991 stirbt Theophanu mit gerade 35 Jahren überraschend, während deren Sohn (man nannte ihn dann Otto III.) noch minderjährig war.

Vier Jahre lang regiert die mittlerweile alt gewordene Burgunderin dann sämtliche Reiche alleine, und ganz langsam und fast unmerklich übergab sie die faktische Herrschaft ihrem Enkelsohn Otto III.

Das eigene Ende in Sicht

Er war es dann auch, der am Ende dieser Übergabe-Periode, im Jahre 994, die Königsgüter in Matten, Wimmis sowie einiger anderer heute bernischen Orte dem Kloster Selz übergab. Die Initiative dafür ging aber von seiner mittlerweile 63 Jahre alten Grossmutter aus. Und man kann nur vermuten, dass sie die Wirren des dann folgenden Jahrhunderts erahnte und dass sie nicht zulassen wollte, dass das Erbe ihrer Familie zum Spielball der Mächte würde. Auf das von ihr gegründete Kloster Selz, so meinte sie vermutlich, würde sie sich aber verlassen können. Und tatsächlich scheint es eine einzigartige Stellung unter den deutsch-französischen Klöstern des Mittelalters innegehabt zu haben.

Gedenktefel zu Ehren Adelheids vor dem Magdeburger Dom

Dann zog sie sich – in engem Austausch mit den burgundischen Klöstern in Cluny, Payerne und St. Maurice stehend – von allen Ämtern zurück. Und, wie eingangs beschrieben, besuchte sie dann im späten Sommer des Jahres 999 ein letztes Mal die Orte und die Menschen, die ihr am meisten am Herzen lagen. Ihr Reiseweg ist exakt überliefert.

Nun, ganze 9 Tage vor dem letzten Weihnachtsfest des ersten Jahrtausends, und nur geschlagene 15 Tage vor dem Beginn des neuen Milleniums, war das christliche Abendland in tiefer innerer Aufruhr: Sehr, sehr Viele erwartete das Ende des Zeitalters, das letzte Gericht und die Wiederkunft des Christus, der in fast allen kirchlichen Darstellungen der vorausgegangen Jahrhunderte als DER kommende König schlechthin dargestellt worden war. Als der „Pantokrator“, der „All-Herrscher“, als der König aller Könige. Und niemand konnte sich in diesen Tagen der fast panischen Furcht und der übergrossen Erwartung entziehen.

Doch die Achtundsechzigjährige, die an einem Dezembertag des Jahres 999 gerade ihre letzten Atemzüge tat, hat diesen König wohl früher gesehen als alle anderen um sie herum: Die römische Kaiserin, ostfränkische und italienische Königin und langjährige Allein-Regentin all dieser Länder, die burgundische Prinzessin Adelheid starb am 16. Dezember 999 im Kloster Selz. Vor genau 1020 Jahren.