Kallmünz, Upper Palatinate, Bavaria, Germany

Am Anfang war… eine Höhle

Überraschendes und Wegweisendes aus den alten Höhlen des Simmentals: Es war doch der Mensch  

Erst im Jahr 2019 hat ein internationales Forscherteam aufgrund einer grossflächig angestellten Studie festgestellt, dass der «westeuropäische» Höhlenbär mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht durch die Kälte der letzten Eiszeit, sondern – mitten in diesen kalten Jahrtausenden – durch den Einfluss des Menschen ausgestorben ist. Auch Wissenschaftler der Universität Zürich waren daran beteiligt. 

Was daran aber «aktuell» sein soll, das wird nicht so leicht verständlich. Alles scheint ja zunächst einmal darauf hin zu deuten, dass eine solche Meldung genau das Gegenteil ist: ur-ur-alt, unwichtig und restlos nebensächlich.  

Wieso also beschäftigen wir uns mit diesem «ausgelutschten» Thema, diesem schon längst verbrauchten, scheinbar abgenutzten Stück Kulturgeschichte? Und was hätte das denn mit dem Simmental von heute zu tun? Auch wenn es in Oberwil, Erlenbach und Boltigen, aber auch im Diemtigtal, viele Höhlen gibt, können wir deren Funktion und Bedeutung für das Simmental überhaupt verstehen? 

Überraschende Ergebnisse neuer Forschungen 

Bislang war man davon ausgegangen, dass die riesigen Tiere (die Höhlenbären waren grösser als heutige Eisbären) in der Kaltphase der letzten Eiszeit einfach verhungert sind, da sie sich als Pflanzenfresser vorwiegend vom Laub der sich damals weit in den Süden zurückziehenden Laubbäume ernährten.  

Lediglich Forschungen im Ostschweizer Alpsteingebiet am Säntis haben ergeben, dass es ganz sicher unmittelbare Berührungen zwischen frühen Menschen und «späten» Höhlenbären gegeben haben muss. Ja noch mehr, dort musste man davon ausgehen, dass Bären und Menschen «irgendwie gemeinsam» in einem Höhlensystem gelebt hätten.  

In der Ostschweiz hat man sich auch die Mühe gemacht, ein Modell eines beeindruckend grossen Höhlenbären «nachzubauen». Doch die Datierung dieser Begegnungen zwischen Bären und Menschen schien einige Fragen aufzuwerfen: Man hielt die Bären am Ende der Eiszeit für ausgestorben, aber unmöglich konnten Menschen und Bären in ein und der selben Höhle «konkurrenzierend» gelebt haben, damals, am Ende der letzten Eiszeit. 

«Damals», das war grob gesprochen vor über 20 000 Jahren. Und man hat auch in den Höhlen des Simmentales Abertausende solcher Bärenknochen gefunden und zunächst das Naheliegende vermutet: Dass nämlich die ersten in grosser Zahl greifbaren Bewohner des Simmentales Bären gewesen seien. Menschen könnten ja – so dachte man lange – erst deutlich nach der letzten Eiszeit, also nach dem Rückzug der alles gestaltenden Gletscher des Oberlandes in den hiesigen Tälern erschienen sein.  

Das dieser Auffassung zugrunde liegende Klimamodell war vereinfacht so, dass es in der Eiszeit sehr kalt gewesen sei und danach «irgendwie wärmer». Und die Menschen seien erst mit der aufkommenden Wärme in den Berner Alpen erschienen.  

Auch wenn man es vorsichtig formuliert, scheinen beide Annahmen – das einfache Klimamodell der nacheiszeitlichen Phase und der «Hungertod» der Höhlenbären – heute nicht mehr vollständig haltbar.  

Denn wenn der Mensch noch während der Eiszeit das Aussterben der Höhlenbären durch offensichtlich flächendeckende Bejagung den Höhlenbären vernichtet hat, dann waren auch im eiszeitlichen Simmental bereits Jäger unterwegs. Die Tausende von Knochenresten, die von passionierten Höhlenforschern wie den Gebrüdern Andrist und ihren Kollegen in den 1930er bis 1950er Jahren in den Simmen- und Diemtigtaler Höhlen gefunden wurden, deuten dann nicht nur darauf hin, dass es eine Phase gegeben haben muss, in denen einen grosse Population von Höhlenbären genügend Nahrung in den Bergen des Simmentales gefunden haben. Sondern diese Höhlen-Funde sind unter Umständen auch ein Beleg dafür, dass in diesen Warmzeiten und evtl. bis in die Eiszeit hinein prähistorische Jäger unterwegs waren.  

Und zudem zeichnet die heutige Klimaforschung ein sehr differenziertes Bild vor allem der nacheiszeitlichen Klimaphasen, von denen man begründet annehmen muss, dass sich steinzeitliche Jäger immer wieder im Simmental aufgehalten haben. Stark vereinfacht muss man überhaupt davon ausgehen, dass die letzten 10 000 Jahre auch in der heutigen Schweiz von starken Klimaschwankungen geprägt waren. Klimaschwankungen, die Landschaften verändert und Lebensgrundlagen völlig neu verteilt haben.  

So geht man heute beispielsweise davon aus, dass der Rheinfall bei Schaffhausen erst vor rund 9800 Jahren durch eine Art Dammbruch entstand und sich das Wasser des Bodensees innerhalb vermutlich weniger Tage um rund 40 m gesenkt hat.   

Und während man die Spuren der damaligen Oberländer Gletscher noch heute überall deutlich sieht, ist nur den wenigsten bewusst, wie schnell sich auch zu prähistorischen Zeiten ein Gletscher-Rückzug oder -Vorstoss ereignen konnte. Jedes Mal mit extremen klein-klimatischen Folgen. Hierzu gibt es fast verwirrend deutliche Informationen.  

Spannende «Geschichte der Geschichte» 

Aber auch die Geschichte der klimatischen Forschungen und der Höhlen-Archäologie der letzten rund 120 Jahre ist interessant, und wir konnten dazu Material sichten und noch einen Teil der wenigen noch vorhandenen Zeugen befragen, die selbst Berührung mit den Forschern «vor unseren Tagen» und ihren Ergebnissen hatten. 

Aus allen Materialien, aus eigenen Gelände-Begehungen, aus manchen Gesprächen und Interviews, haben wir eine kleine Serie von Artikeln vorbereitet, die in loser Folge in dieser Zeitung erscheinen sollen. Eine Serie, die von Bären und Menschen, von Höhlen und frühen menschlichen Behausungen handelt.  

Lange vor unserer Zeit… 

Ein Bild, das Tier, draußen, Rock, stehend enthält.

Automatisch generierte Beschreibung

War er der «Erste Simmentaler»? Nein, denn dieses Höhlenbären-Skelett statt aus einer Höhle im Deutschen Sonnenbühl-Undingen bei Reutlingen am Nordrand des Schwäbischen Jura (Foto: «Nucomu»)  

Ein Bild, das draußen, Rock, Tal, Natur enthält.

Automatisch generierte Beschreibung

Man darf sich steinzeitliche Höhlen nicht als Luxuswohnungen vorstellen. Dennoch waren viele von Ihnen «multifunktional» bewohnt: Zuerst von Bären, dann von Menschen. Hier in der Nähe von Oberwil.