Simmentaler Höhlen bis heute
Wir knüpfen mit diesem letzten von vier Artikeln über die Simmentaler Höhlen an die bisherigen Darstellungen an: In kurzer Frist sind in den vergangenen Monaten Informationen über wissenschaftliche Untersuchungen aufgetaucht, die nahelegen, dass der eiszeitliche Höhlenbär vermutlich vor allem durch das Eingreifen des Menschen ausgerottet wurde. Zudem wurde immer deutlicher, dass schon zwischen den Eiszeitphasen immer wieder Warmphasen auftraten, die überraschend schnell zu heftigen Erwärmungen geführt haben müssen.
Das Simmental war auf Schweizer Boden eines der Hauptschauplätze derjenigen Höhlenfunde, die schon vor fast einem Jahrhundert dafür die ersten Anzeichen lieferten. Es waren die Oberwiler Gebrüder Andrist und ihr Freund, Dr. Walter Flückiger, aber auch die Berner historischen und naturhistorischen Museen samt einer Vielzahl weiterer Freunde, die dann in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine wissenschaftliche Arbeit ermöglichten, die bis heute Grundlage der archäologischen Erkenntnisse über diese prähistorischen Phasen im Simmental sind.
Wenig bekannt aber war, dass Albert Andrist 1964 ein kleines Büchlein herausbrachte, das diese Ergebnisse der «Simmentaler Bevölkerung» in möglichst einfachen Worten darstellen sollte. Eines der wenigen Exemplare dieses Büchleins (Titel: «Auf den Spuren der ersten Berner?») konnte diese Zeitung in den vergangenen Wochen einsehen und als Grundlage für diese Artikelserie verwenden. Rund 4000 Seiten in Stenografie-Schrift unendliche viele Zeichnungen und Fotografien aus den Jahrzehnten hingebungsvoller Forschungen waren Grundlage all dieser Arbeiten.
Auszug aus einem der Stenografie-Protokolle des Oberwilers Albert Andrist, entstanden vermutlich in den 1930er Jahren.
Bronzezeit – Was bedeutete das für das Simmental?
Zeitlich sind wir dabei mittlerweile – nachdem wir die Eiszeit und die verschiedenen Steinzeitphasen hinter uns gelassen haben – in der Bronzezeit angelangt. Für Mittel- und Südeuropa lässt man heute die Bronzezeit etwa 4’300 bis 4’200 Jahre vor unseren Tagen beginnen.
Man hatte über Jahrzehnte hinweg vor allem in allen drei Oberwiler Höhlen sowie in Wimmis und an der Simmenfluh Bronzebeile und Keramikreste gefunden, die Wissenschaftler bestehenden bronzezeitlichen Kulturen zugeordnet haben. Eine ganze bronzezeitliche Siedlung, wie etwa die Pfahlbauten am Bielersee oder in Arbon am Bodensee, fand man jedoch im Simmental nicht.
Bei einem Tiefstand des Bielersees im 19. Jahrhundert kamen die ersten Reste grosser bronzezeitlicher Pfahlbaureste zum Vorschein.
Jedoch lassen heutige wissenschaftliche Erkenntnisse vielleicht den einen oder anderen Rückschluss auf die damaligen Verhältnisse im Simmental zu. Wenn wir mit sehr wenigen «Strichen» eine sehr vereinfachte Skizze der damaligen Schweiz zeichnen: Wie könnte an der Schwelle zur wirklich fassbaren Geschichte das damalige Leben in der heutigen Schweiz ausgesehen haben? Und was für eine Rolle spielte in diesem Geschehen das Simmental?
Das klimabedingte Ende eines goldenen Zeitalters?
Erst vor wenigen Jahren hat man am Lötschenpass Spuren eines steinzeitlichen Jägers gefunden, die belegen, dass die Oberländer Pässe schon sehr früh begangen wurden. Doch dies war rund 1000 Jahre vor dem Beginn der Bronzezeit, und man muss davon ausgehen, dass die Besiedlung und Begehung der heutigen Schweiz in diesen Jahrhunderten deutlich zugenommen hat.
Anhand kultureller Spuren (z.B. an keramischen Mustern) konnte man feststellen, dass die damalige Bevölkerung eine enorme Mobilität aufgewiesen haben muss: So scheinen besonders die Nordschweizer und Süddeutschen Siedler Kontakt mit der Donau-, aber auch der Elbe- und Oder-Bevölkerung gehabt zu haben. Die Südschweizer Täler jedoch waren anscheinend intensiver mit dem Leman und dem heutigen Norditalien verbunden. Darf man das auch für das Simmental vermuten?
Möglich scheint das u.a. deshalb, weil man annimmt, dass das Klima deutlich wärmer war in den meisten Zeiten danach, vielleicht sogar wärmer als heute: Für lange Zeit scheinen die Gletscher noch weiter zurückgezogen als sie es heute sind, bevor dann – am Ende der Bronzezeit – eine empfindliche Abkühlung eingesetzt haben muss. Die Alpengletscher scheinen damals sogar weiter vorgestossen zu sein, als sie es sogar in den 1850er Jahren waren: In Grindelwald stand der Gletscher damals schon direkt vor dem Ort. Nachweise einer sehr hohen, und dann sehr schnell sinkenden Baumgrenze belegen diese Einschätzungen über die Bronzezeit.
Zudem scheinen die Ufersiedlungen an den Alpenseen (meist als Pfahlbauten ausgestaltet) auch Entsprechungen in höheren Regionen gehabt zu haben, und es könnte sogar sein, dass die damalige hochmobile Gesellschaft eben jenen teilnomadischen Lebensstil gepflegt hat, den wir in stark veränderter Form auch heute oft noch haben: Im Sommer geht man auf die Alp, und vielleicht hat man dafür ja auch die Simmentaler Höhlen benutzt. Abwegig ist dies nicht, wenn man z.B. die rund 70 Stein-Iglus («Cacciare») im italienischen Abruzzen-Gebirge kennt, die aus der selben Zeit stammen… und die bis heute als Schutz auf der sommerlichen Hochweide benutzt werden.
Wichtigster Unterschied dürfte aber gewesen sein, dass man in der Bronzezeit nicht wegen der Viehwirtschaft in die Berge ging, sondern wegen der Jagd. Diese Annahmen sind wirklich Stückwerk und ein Versuch, sie erklären aber zum Teil die wenigen Funde der Bronzezeit samt deren Verteilung auch in den tieferen Teilen des Simmentals, etwa in Wimmis oder an der Simmenfluh. Erstmals scheint man nun auch den unteren Teil des Tales genutzt zu haben.
Genetische und klimatische Überraschungen am Ende der Bronzezeit
Sehr überraschend fand man vor kurzer Zeit anhand genetischer Vergleiche heraus, dass ein nicht unerheblicher Teil der damaligen «Westschweizer» Bevölkerung genetische Spuren einer Einwanderung vom kaspischen Meer aufwies. Dies ist kein Druckfehler. Es scheint, als ob mit diesen eingewanderten Bevölkerungsteilen auch eine Veränderung der Produktionsweise und eine Zunahme des Ackerbaus einhergegangen wäre.
Doch dann wurde es mitten in der Bronzezeit schnell kälter, und damit waren die hoch gelegenen Höhlen deutlich ungemütlicher. Als die Kelten vor knapp 3000 Jahren in Mittel- und Westeuropa und damit auch in den Bereich der heutigen Schweiz einwanderten, war aber die Bronzezeit bereits zu Ende, und es hatte eine völlig andere Zeit eingesetzt: Die Eisenzeit. Berühmte Perioden dieser Phase im ersten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung tragen dann auch «Österreichische» und «Schweizer» Namen: Es waren die Hallstatt- und die Latène-Kultur, letztere mit ihrem Zentrum am Neusiedler See.
Höhlen nie aufgegeben
Es scheint jedoch, als ob gerade die Kelten in ihren Einwanderungsgebieten die von ihnen vorgefundenen bronzezeitlichen Höhlen nie ganz aufgegeben, evtl. jedoch ihre Funktion verändert zu haben. Es gibt hierfür ein starkes Indiz aus einer Siedlung, die sowohl nachweislich bis heute lückenlos bewohnte Höhlen aufweist als auch eine immense keltische Prägung.
Die Siedlung liegt im ostbayerischen Karstgebiet, eben in einer jener Donauregionen, von denen man annehmen darf, dass sie schon seit der Jungsteinzeit besiedelt sind und Beziehungen auch zu den Schweizer Siedlungen hatten. Nördlich von Regensburg liegt der Ort Kallmünz. Rund um den Ort sind Spuren keltischer Kulte bis heute erhalten, etwa steinerne Opfertische. Aber eben auch seit undenklichen Zeiten bewohnte Höhlen. Eine der letzten ist das berühmte «Haus ohne Dach», dessen heutige Bausubstanz aber neuzeitlich ist. Das keltische Ursprungswort «Callamuntia» scheint jedoch namensgebend für den Ort gewesen zu sein.
Auch auf dem Gebiet der heutigen Schweiz gibt es noch manche bewohnbare oder auch tatsächlich bewohnte Höhle, etwa im emmentalischen Krauchtal. Doch erst die komplexen und umfassenden Spuren keltischer Besiedlung der heutigen Schweiz in der Eisenzeit sind dann wirklich historisch zu nennen. Und eine Fülle von Simmentaler- und Saanenländer Flurnamen scheinen noch keltischen Ursprungs zu sein. Ob man sie jedoch wirklich «den Helvetiern» zuordnen kann, ist sicher noch sehr offen. Mit den ersten römischen Spuren, in Wimmis, am Lötschenpass und an anderen Orten, ist jedoch auch das Simmental endgültig in der Geschichte angekommen.
Eine heute wieder bewohnte Höhle im Emmental: Eines von zwei «Fluehüsli»