Zum Glück die Habsburg

Wie nähert man sich am besten der Habsburg? Zu Fuss. Und mit Vorsicht, damit man „die Spur“ nicht verliert. Vor allem, was die nach der Burg benannte Herrscher-Dynastie anbelangt.

Beginnen wir bei dem Zu-Fuss-Teil. Von Lenzburg kommend schlägt man sich irgendwie durch etwas nachlässig beschilderte Wälder und lässt nach einer knappen Stunde die imposante Burg Wildegg buchstäblich «links liegen».

Doch kann man sich dabei leicht verlaufen, und braucht ein wenig Glück, um den Weg gut zu finden. Und so rettet sich der anfangs ob der wunderschön grünen Gartenlandschaft ein wenig euphorische Wanderer zuerst auf die Inline-Skater-Wege (gut ausgeschildert), dann auf die Velowege (mässig gut ausgeschildert) und landet irgendwann mangels eindeutigerer Hinweise auf der gut bekannten, aber viel befahrenen Strasse an der Aare – im „Schilderwald“, statt im Buchenwald. Gedämpftes Glück.

Von Lenzburg zur Habsburg, zu Fuss oder mit dem Velo: Trotz vieler Wegweisser findet man nicht so einfach hin. Brugg freilich, ist gut ausgeschildert.

Nähert man sich zu Fuss oder mit dem Velo, immer der Beschilderung nach Brugg folgend, der imposanten Burg Wildegg, ist man versucht, den Plan, die Habsburg zu erreichen, aufzugeben.

Und immer noch ist nichts von der Habsburg zu lesen, kein Veloweg, schon gar kein Fussweg, nicht einmal eine Verkehrsbeschilderung für Autofahrer. Doch dann kann man ganz plötzlich nach rechts, den Hügel hinauf abbiegen, und der Kundige weiss: Jetzt braucht es noch weniger als eine Stunde bis zur Burg, und der harte Asphalt trägt statt eines weichen Waldwegs die Schritte den Hügel hinauf. Unter hinter dem Wanderer verstummt der hektische Lärm des Lastverkehrs und der Berufsfahrer…

Hat man nach wenigen Kilometern die Anhöhe erreicht, öffnet sich ein weiter Himmel. Und man kann das Ziel auch ohne Hinweisschilder nicht mehr verfehlen: Links, in einer gewissen Ferne, hinter den sich weit hinziehenden Feldern, sieht man sie, die Habsburg. Ein leichter, schöner Anblick, den auch der graue Himmel nicht trüben kann.

Eingebettet in die weite Hügellandschaft zwischen Reuss und Aare liegt die Habsburg. Rechts unter ihr das gleichnamige Dorf.

Phasen eines weltumspannenden Dramas

Von hier aus, vom heutigen Schweizer Boden aus, hat sich über Jahrhunderte ein weltumspannendes Macht-Drama entwickelt: Die Herrschaft der Habsburger Dynastie. Einige Phasen dieses Dramas findet man in der kleinen, aus den 90er Jahren stammenden Ausstellung im Obergeschoss der Burg gut beschrieben.

Die Gründung

Archäologisch gut erschlossen und dokumentiert, findet man die Gebäude der frühen Burgphasen leicht auf der Grundlage der informativen Hinweistafeln. Dem nachdenklichen Besucher fällt aber auf, dass die Gründung dieser Burg an dieser Stelle und genau zu dieser Zeit keineswegs Zufall sein konnte. Warum also hier?

Man muss sich vor Augen halten, dass es «die Schweiz» damals nicht einmal im Ansatz gab. Kaum etwas von dem, was wir heute für die Schweiz halten, war damals wirklich erkennbar. Vom Schwarzwald über den Bodensee bis hin nach Graubünden und Tirol regierten die Schwäbischen Herzöge über ein riesiges, zweisprachiges Gebiet, das von Rheinfelden bis nach Bregenz alemannisch und ab ungefähr Vaduz bis weit in den Süden Rätoromanisch sprach.

Das Ganze war eingebunden in ein Kaiser- und Königreich, das als vor- und übernationales Gebilde aus dem ostfränkischen Reich entstanden war. Und besonders zu den damaligen «burgundischen» Herrschaftsgebieten, die in einer Art Macht-Kaskadierung eben von der Reuss, die bei Windisch in der Nähe der Habsburg in die Aare mündet, über den Lac Leman und das Rhônetal bis an das Mittelmeer, nach Arles und in die nordostitalienischen Städte wie Ivrea reichte. Nur rund 20 Jahre vor der Gründung der Habsburg lebte die vermutlich aus Orbe bei Yverdon stammende hochburgundische Prinzessin, italienische Königin und römisch-deutsche Kaiserin Adelheid noch, und die so genannten cluniazensischen Klosterreformen waren in vollem Gange.

Die Habsburger hatten ihre damaligen Machtzentren, wie man begründet vermuten darf, an anderen Orten, zum Beispiel in der Nähe von Mulhouse im Elsass (Kloster Ottmarsheim), im südelsässischen Sundgau und bei dem von ihnen gegründeten Kloster Muri (AG).  

Aber weshalb haben sie dann die «irgendwo auf dem Land» gelegene Burg gegründet? Man kann nur vermuten, und es ist gleichzeitig ein gewisses Wagnis, es zu tun, denn wir rekonstruieren hier zum Teil, was wir nicht in der Breite dokumentiert haben. Dennoch, die Vermutung ist, dass es dafür zwei Gründe gibt: Zum einen eine bereits bestehende Siedlung bei dem alten Kastell in Altenburg bei Brugg, verbunden mit dem einzigen Aareübergang weit und breit, der mit einer einzigen Baumstammlänge von ca. 9 Metern zu überbrücken ist.

Und zum anderen könnte ein sich abzeichnender Dynastiewechsel zwischen dem letzten Ottonen, Heinrich II., der 1024 kinderlos starb, und den weiter nördlich bei Speyer beheimateten Saliern, die nach den Ottonen die deutschen Herrscher stellten, eine Rolle gespielt haben. Es wäre, wenn man die These erhärten könnte, das erste feststellbare Szenario, in dem die erst viel später entstehenden Schweizer Strukturen sich ganz langsam aus den Krisen ihres Umfeldes herleiteten.

Das dahinterstehende Denken der frühen Habsburger erscheint zumindest uns Heutigen strategisch geprägt, und es hat vermutlich mit zwei Dingen zu tun: Einem «alten» Motiv, der Kontrolle der Verkehrswege in einem in sich halbwegs geschlossenen Gebiet: Die fussläufige Distanz zwischen Kloster Ottmarsheim und dem Kloster Muri beträgt recht genau 105 Kilometer, wenn man dabei die Brücke von Brugg über die Aare verwendet. Das ist zu Pferd gut in 3 Tagen zu bewältigen.

In etwa zur gleichen Zeit scheint gut 12 km weiter südlich der Habsburg die Burg Lenzburg aus einer alemannischen Siedlung heraus gegründet worden zu sein. Sie wird 1036 erstmals erwähnt. Anders gesagt: «Man» errichtete Burgen in diesen Tagen, um seine Machtansprüche zu sichern.

Das zweite wäre ein «modernes», aber eben naheliegendes Motiv, nämlich die Akkumulation von Kapital aus Zöllen, Transport- und Wegerechten zur Erweiterung der Machtbasis. Etwas, für das sich in der hochmittelalterlichen Habsburger Geschichte mancher Beleg finden liesse.

Städtische Machtzentren und Wachstum der Territorien

Das Paradigma städtischer Entwicklung im 12. Jahrhundert sind die oberitalienischen Städte: Sie sind in vielerlei Hinsicht beispielgebend. Deren Machtpolitik ist sprichwörtlich und das damalige Kaisergeschlecht der Staufer, vor allem Friedrich I. Barbarossa, hatte damit im wörtlichen Sinne sehr zu kämpfen.

Als die Habsburger schliesslich in den Jahren 1220 – 1230 ihren ständigen Wohnsitz nach Brugg verlegten, waren die «civitates», die sich selbst regierenden Städte bereits eine bekannte Einrichtung im gesamten mitteleuropäischen Raum. Bemerkenswert an den offensichtlich strategisch denkenden Habsburgern scheint aber zu sein, dass sie dem kleinen Brugg einen immer mehr kleinstädtischen Charakter gaben und dort nachweislich ab 1232 Münzen prägen liessen. Ab 1273 weiss man von einer Zollstelle über die Aare.

Bereits um 1248 herum hatte man an anderer Stelle mit der Unterstützung der Stadtgründung von Waldshut einen wesentlichen Einfluss auf den nur eine Tagesreise entfernten Südschwarzwald gewonnen und dort sogar einen Rheinhafen unter seiner Kontrolle. Basel, Mainz und sogar Köln waren damit rheinabwärts schnell erreichbar.

Seit dieser Zeit war die Habsburg wohl noch der Stammsitze der Habsburger, wurde jedoch von Dienstmannen verwaltet und war – modern gesprochen – nicht mehr der ständige Aufenthalt des Adelsgeschlechts.

Die Königswürde und der Rütlischwur

Als Graf Rudolf IV. von Habsburg 1273 zum deutschen König gewählt wurde und er damit das in vielerlei Hinsicht verheerende «Interregnum» (1250 – 1273), die „kaiserlose Zeit“, zumindest als König beendete, war er bereits kein «armer Landgraf», wenn man das überspitzt formuliert. Ganz im Gegenteil.

Stück für Stück konnte er militärisch wie wirtschaftlich viele Erfolge verbuchen, und es begann die Ausdehnung der habsburgischen Lande nach Osten, in das heutige Österreich und die Steiermark. Als Rudolf I. wurde er deutscher König und die Habsburger stiegen in den Rang von Reichsfürsten auf.

Als eben dieser Rudolf von Habsburg am 15. Juli 1291 in Speyer stirbt, hat dies eine Reihe von Auswirkungen.

Eine wenig beachtete Wirkung scheint es gewesen zu sein, dass die «Waldgebiete», die wir heute der Innerschweiz zuordnen, ein erneutes Herrschaftschaos fürchten mussten. Wenn die Datierung stimmt, haben sich Anfang August 1291 die drei Talschaften von Uri, Schwyz und Nidwalden einen Beistandseid geschworen.

Und die Eingangszeilen dieses ersten Bundesbriefes (hier in der deutschen Übersetzung) bestätigen diese Sicht, dass nämlich der Bundesbrief keine Reaktion auf vergangenes Unrecht, sondern eine Verhinderung von zukünftigem zum Ziel hatte:

«Das öffentliche Ansehen und Wohl erfordert, dass Friedensordnungen dauernde Geltung gegeben werde. – Darum haben alle Leute der Talschaft Uri, die Gesamtheit des Tales Schwyz und die Gemeinde der Leute der unteren Talschaft von Unterwalden im Hinblick auf die Arglist der Zeit zu ihrem besseren Schutz und zu ihrer Erhaltung einander Beistand, Rat und Förderung mit Leib und Gut innerhalb ihrer Täler und ausserhalb nach ihrem ganzen Vermögen zugesagt gegen alle und jeden, die ihnen oder jemand aus ihnen Gewalt oder Unrecht an Leib oder Gut antun ….»

Wörtlich spricht der lateinische Text des Bundesbriefes von «Verträgen des Friedens und der Ruhe». Also: Kein Interregnum mehr! Und ganz offensichtlich war dieser erste greifbare Eid zum damaligen Zeitpunkt keine klassische Verschwörung, wie es oft dargestellt wird. Sondern dies scheint eine vorausschauende Regelung zugunsten eines Modells gewesen zu sein, in dem Macht «aus der Nähe» und nicht durch eine ferne Regierung ausgeübt werden sollte. Und bis heute ist die politische Schweiz auch von dieser Idee geprägt.

Das Weltreich

In der Folge entwickelten sich andererseits die Habsburger zu einer zuerst das gesamte deutsch-italienische Reichsgebiet und später die halbe Welt beherrschenden Dynastie. Dies darzustellen, ist hier nicht der Ort.

Aber eine Reminiszenz daran findet man auf der Habsburg dankenswerter Weise, noch bevor man das Innere der Burggebäude betritt: Eine grosse Rosette verdeutlicht die spätere Ausstrahlung der Dynastie – auf die gesamte Welt. Ein Reich, in dem «die Sonne niemals untergeht», wie das von dem Reich Karls V. im 16. Jahrhundert gesagt wurde. Kurzum: Von 1438 bis 1806 stellen, mit einer kleinen Ausnahme, die Habsburger alle Kaiser des «Heiligen Römischen Reiches».

Doch auf dem Gebiet der Eidgenossenschaft beendete zunächst einmal der Einmarsch der Eidgenossen 1415 – während des Konstanzer Konzils – in Form der Berner Besetzung des aargauischen Gebietes die Habsburger Herrschaft. Und nach der beiderseits verlustreichen Schlacht von Schwaderloh im Jahre 1499 vollzog sich alsbald auch eine dauerhafte und legal begründete Ablösung der Eidgenossenschaft vom damaligen Kaiserreich. Staatsrechtlich wird damit die „alte Schweiz“ vollständig selbständig.

Die heutige Habsburg

Die heutige Habsburg erzählt nur relativ wenig von all diesen Ereignissen. Eine dennoch gut dokumentierte, aber kleine Ausstellung führt aber in die wichtigsten Kernbegriffe dieser Zusammenhänge ein. Vor allem die baugeschichtliche Dokumentation der Phasen der Burggeschichte ist aber sehr aussagekräftig und immer wieder interessant zu lesen, auch wenn man sie schon ein paar Mal gesehen hat.

Ein wenig problematisch für einen Besuch der Habsburg sind die recht begrenzten Öffnungszeiten der heutigen Burganlage: An zwei Tagen der Woche (Mo/Di) ist sie ganz geschlossen, und auch an den übrigen öffnet sich die Burg immer nur zusammen mit dem gastronomischen Betrieb ab 11 Uhr. Hinzu kommen ausserordentlich lange Mittagszeiten ab 14 Uhr, so dass es keinen Sinn hat, die Burg an einem Nachmittag während der Woche zu besuchen. Am besten ist, man informiert sich zuvor über die Website, ob und in welcher Form alles geöffnet ist.

Ist man dann aber entspannt angekommen, egal mit welchem Verkehrsmittel, geniesst man die eminente Beschaulichkeit des Ortes, an dem man zu weitschweifenden und tiefgehenden Gedanken kommen kann. Es bleibt ein besonderer Ort, an dem der Blick weit hinaus geht und der in viele Reiche der Welt Bezüge zu haben scheint. Man mag das mit Fug und Recht als ein Glück empfinden.

Eine bescheidene, aber recht informative Ausstellung gibt einen recht detaillierten Überblick über Struktur und Verlauf der Geschichte der Habsburger und „ihrer“ Burg.