Projekte vermitteln zwischen «Natur und Kultur»
Zum Jubiläum geladen hatte am 12. Oktober der Naturpark Diemtigtal: Es ging um die 13. Steinbock-Kolonie des Kantons Bern und um «20 Jahre Wiedereinbürgerung» der Alpenkönige im Diemtigtal. Geladen waren alle, die irgendwie mit dem Projekt zu tun hatten, und es wurde ein hoch informativer, aber auch ein sehr persönlicher Anlass.
In Anwesenheit zahlreicher Ehrengäste, allen voran die Mitglieder der damaligen Projektbegleitgruppe und die Initianten der ersten Stunde sowie dem kantonalen Jagdinspektor Niklaus Blatter, erläuterte zunächst Peter Lüps, Biologe und Steinwild-Experte, die Vorgeschichte: Wie kam es überhaupt dazu, dass man ausgerechnet in den Hochalpen die Steinböcke wieder ansiedeln musste?
Steinböcke wurden – wie manch andere grosse Tierart auch – im gesamten Alpenraum bereits Ende des Mittelalters derart bejagt, dass sie am Beginn unserer Zeit nahezu ausgerottet waren. 1806, sagt man, sei der letzte Steinbock auf heutigem Schweizer Gebiet im Wallis geschossen worden.
Zuvor war das Recht zu jagen sehr oft ein herrschaftliches, ja königliches Recht, das erst im Zug der Verkleinerung und hierarchischen Herabstufung der tatsächlichen Herrschaft (vom König in Richtung der Fürsten und Grafen, dann aber auch zu den Lands- oder Talgemeinden bzw. zu den Kantonen) auf die späteren politischen Einheiten überging.
Dr. phil. nat. Peter Lüps war zuständig für die Gebietsbeurteilung und damit einer der «Männer der ersten Stunde» und der erste Referent an dem Jubiläumsabend am 12. Oktober
In der heutigen Eidgenossenschaft formulierte erstmals das Jagdgesetz von 1875 («Bundesgesetz über Jagd und Vogelschutz vom 17. September 1875») auf der Grundlage der ein Jahr zuvor beschlossenen Bundesverfassung einen Artenschutz-Gedanken, der dann 1986 in einer Totalrevision der jagdlichen Gesetze, neben dem Grundgedanken der Erhaltung der Artenvielfalt auch als ausdrücklicher Schutz der Grosstiere festgeschrieben wurde.
Kurz ging Peter Lüps dabei auch auf die Vorreiterrolle des «Alpenwildparks Harder» in Interlaken ein, von dem aus am 10. Juni 1921 vier Stein-Geissen und drei Böcke beim Wannichnubel am Hardergrat in die freie Wildbahn entlassen worden waren. Die sich später daraus entwickelnde erste Steinbock-Kolonie im Kanton Bern war Anlass, an diesem Abend von einem «doppelten Jubiläum» zu sprechen.
Biologischer und gesetzlicher Rahmen
Den weiteren Vortrag übernahm anschliessend der Wildbiologe Simon Capt, der als Vorsitzender der Begleitgruppe für die Wiederansiedlung von Anfang an dabei gewesen war. Ausführlich erläuterte er die genehmigungs-technischen und wildbiologischen Aspekte des nun 20jährigen Projekts.
Dr. phil. nat. Simon Capt stellte in einem interessanten Vortrag die Details des 13. Wiederansiedlungs-Projekts im oberen Diemtigtal vor.
Ein für die Wiederansiedlungsprojekte entscheidender Gedanke ist dabei, dass zwischen den Steinbockkolonien gelegenen Täler fast wie eine Barriere wirken: Sie verhindern die selbständige Ausbreitung der Steinwild-Kolonien, da diese den Hochgebirgsraum oberhalb der Baumgrenze als Schutzraum empfinden und ihn kaum oder doch nur ungern verlassen. Dies gilt besonders für die Geissen mit Kitzen, während gerade junge Böcke auch Wanderungs-Experimente wagen. Dies hatte das Diemtigtaler Projekt «Nr. 13» eindrücklich gezeigt. Doch ohne den Geissen-Nachzug kommt es nicht zur Koloniebildung.
Bei einer Wiederansiedlung der Steinböcke muss auch die mögliche Kollision mit anderen Wildtierarten sowie mit den Weidetieren bedacht werden. Der Referent betonte, dass es lediglich ausgangs des Winters in Einzelfällen zu einer Berührung von Gämsen und Steinböcken kommt, und zwar dann, wenn diese bei der Futtersuche bisweilen gleichzeitig die ersten ausgeaperten Stellen in der Altschneedecke aufsuchen.
Es ist nur ein Prinzip-Schaubild, aber es zeigt, wie sich die Lebensräume von Steinböcken, Gämsen Rehen und Rotwild überschneiden bzw. wie sich die Tiere aus dem Weg gehen. Quelle: Präsentation Dr. phil. nat. Capt
Zusammenspiel von Natur und Kultur
Dabei wurde auch die tiefergehende Frage aufgeworfen, wie wir grundsätzlich mit den natürlichen Ressourcen umgehen sollen. Es geht dabei ja ebenso um etwas sehr Grundsätzliches wie um etwas sehr Konkretes:
Der Schutz der Natur gehört in der Schweiz, neben vielen anderen Werten, in den grundsätzlichen Rahmen der Verfassungsziele. Und weit über alle Partei- und Meinungsgrenzen hinweg ist dies auch ein nationaler Konsens. Die Heimat und die natürlichen Ressourcen sind zu erhalten. Mehr noch: Sie sind ein Markenzeichen der Schweizer Identität.
Die Steinböcke gehören, neben einigen anderen Dingen, zu dieser nationalen Identität. Wie aber soll dieser Teil der nationalen Identität umgesetzt werden? Eine der Antworten, die in dem Vortrag von Simon Capt immer wieder anklangen, ist: Durch konkrete Steinwild-Projekte mit vielen einzelnen Schritten, die immer wieder eine Evaluierung des Nützlichen oder des aktuell Gewollten erlauben, können die politischen Aufträge in konkrete Aktion umgemünzt werden. Dass davon dann auch der Tourismus profitiert, das wird von einer Mehrheit als gut betrachtet und begrüsst.
Die zukünftigen Projekte
Welche Projekte diesen politischen Auftrag in der Zukunft realisieren werden, das wird man vermutlich an der sich in der Vorplanung befindlichen 14. Steinbock-Kolonie des Kantons Bern am Stockhorn erkennen können. Bei diesem Projekt finden zurzeit die Abklärungen mit dem Bund statt, und – was man am Rande der Veranstaltung hörte – scheint das Projekt auf einem guten Weg. Können die ursprünglichen Zeitpläne eingehalten werden, könnte es noch 2022 zu einem Projektbeginn kommen.
Ein interessanter und lehrreicher Abend, der unter der souveränen Conference der Projektleiterin Gabi Speck (Naturpark Diemtigtal) einen anerkennenden und anerkennenswerten Abschluss fand.