Institution mit Geschichte
Die 197. Hauptversammlung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels fand, nur wenige Jahre vor dem 200. Jubiläum des Verbandes, am 15. November 2021, zum zweiten Male online statt. Die 1825 als «Börsenverein der Deutschen Buchhändler» in Leipzig gegründete Vereinigung hatte, bedingt durch die politischen Umstände in Ost und West, zwischenzeitlich eine teilweise getrennte Entwicklung genommen. Seit den 1990er Jahren sind die lange getrennten Organisationen wieder zusammengewachsen, und der heutige «grosse» Börsenverein ist auch der Ausrichter der Frankfurter Buchmessen in Frankfurt.
Politik und Wirtschaft sind im Börsenverein getrennt. Die Wirtschaftsaktivitäten tätigt die «Börsenverein des Deutschen Buchhandels Beteiligungsgesellschaft mbh (BBG)» als Holdinggesellschaft. Darunter arbeiten die MVB Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels GmbH und die Frankfurter Buchmesse GmbH.
Sieht man die Entwicklung der Verlags- und Buchhändlerbranche samt dem Zwischenbuchhandel als dritter Säule einen Moment lang aus der historischen Perspektive, so wurde in den politisch orientierten Beiträgen der HV kurz vor dem 200jährigen Jubiläum des Börsenvereins eine Entwicklung sichtbar, in der sich die Gefahr eines fundamentalen kulturellen Bruchs in der Medienlandschaft andeutet. Und Führung wie Mitglieder des Verbandes scheinen sich einer am Horizont auftauchenden erheblichen Bedeutung der hier wirkenden Faktoren bewusst.
Sie betonen aber immer wieder, so auch auf der vergangenen HV, dass es neue Geschäftsmodelle und Varianten bestehender Geschäftsmodelle gibt, die dem stationären Buchhandel ergänzend zur Seite stehen. Hierzu gehören u.a.
– das Cross-Channeling: Verknüpfung der Vorzüge des stationären und des Online-Handels
– der Ausbau des Marketings über Veranstaltungen und Kooperationen bzw. Social Media
– sowie die weitere Entwicklung der Buchhandlungen als kultureller Treffpunkt und wichtiger Bestandteil bei der Belebung der Innenstädte
Risiken für das Geschäftsmodell der Verlage
Dabei gehört im Verlagsmarkt zu den am schwersten wiegenden strukturellen Faktoren der momentanen globalen Entwicklung die nicht mehr nur schleichende, sondern bereits galoppierende Erosion des Urheberrechts. Gerade im universitätsnahen Sachbuch-Markt hat der Börsenverein bereits seit langem, mindestens seit 2017, ständig auf diesen Umstand hingewiesen, und er hat auch die grossen quantitativen Dimensionen dieser Entwicklung aufgezeigt.
Das flutwellenartige Überhandnehmen – man denke an die monatelange Auseinandersetzung Australiens mit dem Google-Konzern – eines geradezu organisierten «Contentdiebstahls» durch die grossen IT-Konzerne und dessen teilweise staatliche De-facto-Duldung, der immer mehr zutage tretende Publikumsanspruch, alles «instant» und kostenlos verfügbar zu haben, führt zusammen mit einer Reihe weiterer Faktoren zu einem Druck auf die Geschäftsmodelle vieler Verlage und Content-Anbieter.
Der quantitativen Schein-Aufwertung («immer mehr Information immer schneller verfügbar») steht eine gegenläufige qualitative Entwertung («Verlust der Werkbedeutung») entgegen, die charakteristischer Weise mit einem fundamentalen kommerziellen Wertverfall einhergeht («E-Books für unter 1 €»). Aus der Dynamik der neuen Medien heraus drohen damit die bisherigen Medien zwar nicht gerade spontan zu zerfallen, aber es ist – trotz der starken Stellung, die das Buch noch hat (Börsenverein: «Das Buch steht in der Mitte der Gesellschaft») – eine Tendenz absehbar, die Kopfzerbrechen bereiten kann.
Zusammen mit weiteren Risikofaktoren (z.B. «Buchpreisbindung als marktsteuernde Funktion in Gefahr»), zusammen mit aktuellen Faktoren (Papierknappheit, und Corona, trotz der in der Pandemie nachweisbar zunehmenden Leseaktivität) lässt all dies schon die nähere Zukunft der Mitglieder wie des Verbandes der deutschen Buchhändler und Verleger zunehmend weniger kalkulierbar erscheinen.
Klar wurde in sämtlichen Äusserungen der 197. Hauptversammlung des Börsenvereins, dass man alles tun wird, politisch und wirtschaftlich, um die Zukunft aktiv mitzugestalten. Und man darf nur hoffen, dass die Buchmesse sich in Gänze wieder erholt.
Aus Sicht eines Schweizer Kleinverlages sind dies bedeutenden Diskussionen im Nachbarland. Und dies nicht nur marktpolitisch, da ist man sich hierzulande sämtlicher Prämissen sicher bewusst. Es geht aber auch um Funktionales: Denn da, wo die Tochterunternehmen des Börsenvereins über die Buchmesse und die Organisation des Buchhandelsabsatzes ihre besonderen Stärken hat, wird man die Rückwirkungen aktueller Marktveränderungen sehr genau beobachten müssen.