Kessel mit Kirschsirup

Ist es das Ende? „Chirschmueset“ 2022 in Wimmis

Ist es schweizweit das letzte Mal? – Vom 24. bis zum 27. Juni findet in diesem Jahr im unteren Simmental die Wimmiser «Chirschmueset» statt. Doch es könnte sein, dass dies der letzte Anlass dieser Art war: nicht nur in Wimmis, sondern in der gesamten Schweiz. Und vielleicht sogar überhaupt in Europa.

Denn die offensichtlich mittelalterliche bäuerliche Sitte ist arbeitsaufwendig, ebenso der Anbau und die Ernte der schwarz-roten Früchte. Überhaupt haben sehr viele Kirschbäume einen eigenartigen Pilz bekommen, den man nur mit grossem Aufwand – wenn überhaupt – bekämpfen kann.

Der schwierigste Punkt ist aber, dass der bisherige «Vater der Chirschmueset», der frühere Leiter von Wimmis Tourismus, Werner Lengacher, nach vier Jahrzehnten hingebungsvoller Traditionspflege, seine Tätigkeit aufgibt. Zumindest für ihn wird es die letzte Veranstaltung dieser Art sein. Und ob die Wimmiser Chrischmueset dann überhaupt noch weiterbesteht, das ist völlig offen. Ein Team aus bisherigen Helfern allerdings zeigt Interesse an einer Weiterführung. Wir werden sehen.

Aber dennoch: Geht hier – mangels Nachfolge – eine gesamt-schweizerische Tradition zugrunde? Man will es fast nicht glauben.

Initiator und seit genau vier Jahrzehnten „Vater“ des Wimmiser Chirschmues: Werner Lengacher

Geschichte und Geschichten rund um das Wimmiser Chirschmues

Forscht man nach der Geschichte des schwarzroten Produktes, so stösst man schnell auf Erstaunliches: So sagen Einige, schon im Schweizer Wörterbuch (dem «Idiotikon», was so viel wie «Buch der sprachlichen Eigenheiten» bedeutet) sei unter der Jahreszahl 1528 eine Schweizer Redensart aufgeführt, bei der man als Ausdruck des Erstaunens sagte: «Potz Chriesimuos». Dem sprachgeschichtlich Geschulten sagt dies aber, dass das «Chriesimuos» schon eine sehr viel längere Vorgeschichte und eine sehr viel breitere Verbreitung im Schweizerdeutschen hatte. Sonst wäre es ja vor 500 Jahren keine Redensart geworden. Ein mittelalterliches Produkt also, und ein ehedem sehr verbreitetes dazu?

Werner Lengacher weiss aber mit Sicherheit dazu, dass es eine Diemtigtaler Urkunde aus dem Jahre 1634 gibt, aus der hervorgeht, dass «Einer» verurteilt wurde, weil er während der Herstellung der cremigen Spezialität ein flüssiges «kleines Geschäft» in den Kupferkessel hineinfabrizierte: Die gesamte Arbeit und das wertvolle Produkt waren verloren, und der Delinquent wurde verurteilt.

In unseren Tagen aber war es eine Gruppe von Freiwilligen um eben jenen Werner Lengacher herum, die – nach ersten Anfängen in den 70ern – im Jahre 1982 den Traditionsfaden begannen neu zu spinnen. Und sie taten es bis heute, als Freiwillige, zum Nutzen lokaler Vereine, etwa der Musikgesellschaft und «Wimmis Tourismus».

Gepflegt und gehegt: Der Kern kulturellen Erbes

Das Wimmiser Chirschmues hat auf jeden Fall eine sehr alte Tradition, eine Tradition, die heute wieder neu gepflegt wird. Bei dem Thema «Kirschen» kann man also die geschichtliche «Kernfrage», gut beantworten: Man weiss, woher sie kommen. Die Römer, insbesondere der für seine Kulinarik bekannte Konsul Lukullus, haben sie nach Europa gebracht.

Warum das Herstellen des Chirschmues heute nur noch in Wimmis gepflegt wird, das weiss auch nach Jahren des Nachforschens niemand sicher zu beantworten. Aber ein Eindruck verfestigt sich: Die Wimmiser haben eine alte Schweizer Tradition wieder zur Kultur, zu ihrer Kultur, gemacht. Die «Chirschmueset» wurde wiederbelebt.

Das „Streifen“ gehört zu den Grundtechniken zur Gewinnung des Dicksafts der Schwarzkirsche.

Doch ob sie nun – wenn Werner Lengacher die Leitung der arbeitsaufwendigen Herstellung wirklich abgibt – noch weiterbestehen wird, das kann man, entsprechende Begabung vorausgesetzt, vielleicht aus den Kirschkernen lesen, die in diesem Jahr beim Musen übrigbleiben.

Geht die alte Tradition zugrunde?

Endet die Tradition, dann endet sie auch in der ganzen Schweiz, denn – nach allem, was wir wissen – wird das Chirschmues nirgendwo anders mehr hergestellt. Und fände man keinen Nachfolger für den heimatverbundenen Werner Lengacher, so verliert auch Wimmis eines seiner bisher fast wie im verborgenen wirksamen Marken-Bestandteile.

Nur handverlesene, gute Schwarzkirschen kommen in das «Wimmiser Chirschmues»